Wenn der Gorilla auf der Rückbank zu früh aufwacht
30.01.13, 18:43 Uhr / Von Tanja Laninger
Dietmar Jarofke, Ex-Tierarzt im Zoo Berlin, hat ein Buch geschrieben. Es handelt vom Leben im Flusspferdhaus und Schmerzen nach Operationen.
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Das ist kein schöner Augenblick. Wenn man im Auto sitzt, in einen Stau gerät und auf der Rückbank der Gorilla zu früh aus der Narkose erwacht. Bloß weil man es nicht rechtzeitig vom Röntgen in der Pferdeklinik in Düppel zurück in den Zoo geschafft hat.
Doch das kommt vor. Dem ehemaligen Zoo-Tierarzt Dietmar Jarofke ist es in den 80er-Jahren passiert – genauso seinem Nachfolger André Schüle, ihm 20 Jahre später, allerdings mit einem Orang Utan.
Jarofke saß damals vorne. Hinten im VW-Bus war Reviertierpfleger Kurt Walter mit dem Gorillamann Knorke allein. "Ich schaute in den Rückspiegel und sah plötzlich Kurt Walters Schuhsohlen", erinnert sich Jarofke. Knorke hatte den dünnen Mann hochgehoben wie ein Brett. Das Auto stand in Höhe des heutigen Karstadt Sport (damals Bilka) an der Kantstraße, nur wenige hundert Meter vom Zoo-Eingang entfernt. Jarofke hatte Spritzen zur Hand; der Gorilla wurde wieder betäubt. Walter kam mit heiler Haut davon.
Das ist eine von vielen Anekdoten, die Jarofke für sein Buch "Das Flusspferds Knautschke, unser freundlicher Nachbar" zusammengetragen hat, zehn Jahre nach seiner Pensionierung, 40 Jahre nach Dienstantritt.
Flusspferde verraten Nachtbummler
Wie 30 andere Kollegen hat Jarofke in einer Dienstwohnung auf dem Zoo-Gelände gelebt. Seine Kinder Berit und Peter wuchsen zwischen Wildtieren auf. Drei Mal zog die Familie um, man machte Platz für neue Anlagen. 26 Jahre lang wohnten Jarofkes im Flusspferdhaus. Die Hippos, vor allem Knautschke, der zu den wenigen Zootieren gehörte, die die Bombardierung Berlins überlebt hatten, erkannten Jarofke immer – auch wenn er nachts nach Hause kam. "Ihr kräftiges 'hm, hm' sorgte dafür, dass meine Familie mich schon erwartete".
Denn im Grunde sind die Rollen klar: Zootiere schätzen ihre Pfleger sehr, sie bringen ihnen das Futter. Der Tierarzt aber ist der böse Mann mit dem Rohr, das ihnen die Sinne ausbläst. Er bedeutet Gefahr. Bonobos versteckten sich vor ihm, Bongos gerieten in Panik und bei den Elenantilopen konnte Jarofke sich allein nicht mehr blicken lassen, zu groß war die Unruhe der Herde. So gesehen – ein undankbarer Beruf.
Nickerchen mit Raubkatze
Jarofkes Kinder hatten es da besser. Wenn Wildtiere ihren eigenen Nachwuchs nicht selbst aufziehen können, sprangen und springen Zoo-Mitarbeiter ein. So beherbergten Jarofkes drei Monate lang einen jungen Jaguar. Nachts schlief die Raubkatze in einer Box, nachmittags hielt sie einträchtig ein Nickerchen mit Jarofkes Sohn Peter auf dem Sofa.
Momentan lebt ein dünner Igel bei Jarofkes. Sie sind mit der Pensionierung nach Brandenburg gezogen, Zoo-Mitarbeiter müssen mit Dienstende die Dienstwohnungen verlassen. Trotzdem ist Jarofke oft im Zoo. Schon als Tierarzt hatte er Besuchern unterhaltsame Einblicke hinter die Kulissen ermöglicht. Im Sommer gibt er immer noch 30 Führungen, im Winter sind Sondertermine möglich. (Infos unter www.jarofke.de). Da werden Nilpferde durch Gitterstäbe gefüttert, Kiwis in Kisten gesucht und Elefantendamen inspiziert.
Filmaufnahmen bei der Elefanten-OP
Jarofke kann erklären, warum die heute 38 Jahre alte Iyoti – ein Staatsgeschenk Indira Gandhis – eine handbreite Narbe am Bein in Höhe des rechten Ohrzipfels hat. Sie war zwischen einen Zwist zweier älterer Kühe geraten, gestürzt und hatte sich einen Knochen gebrochen. In der Pferdeklinik in Düppel wurde eine Markraumschraube angefertigt und von Professor Hanns-Jürgen Wintzer in den Knochen eingetrieben. "Ich habe bei der OP gefilmt und fotografiert", sagt Jarofke.
Elefanten sind seine Lieblingstiere. "Mich fasziniert, dass sie so zahm werden können wie ein Hund", sagt der 75-Jährige. Er hat diverse Gutachten zur Elefantenhaltung bei Zirkussen geschrieben und vertritt, anders als viele Tierschützer, die Meinung, dass die Rüsseltiere aus kulturellen Gründen in ein Zirkus-Programm gehören. Jarofke hatte noch die komplette Kettenhaltung und Abrichtung, also Dressur von Elefanten im Zoo erlebt.
Jarofke hat vor allem Reptilien, aber auch Amphibien behandelt. "An den Universitäten wurde damals kaum etwas über diese Exoten gelehrt", sagt Jarofke. Solches Wissen musste man sich selbst aneignen "Heute ist das nicht anders", ergänzt Schüle. Das kann schmerzhaft sein, wie beim Chinesischen Riesensalamander. Jarofke hatte die Amphibie operiert, weil ihre Haut nach einem Kampf mit einem Rivalen zerfetzt war. In den folgenden Tagen lösten sich an Jarofkes Fingern ganze Hautpartien ab: Giftstoffe aus der Haut des Salamanders waren eingedrungen. Jarofke hatte keine Handschuhe getragen. Seine Wunden heilten nur langsam.
Nachfolger operiert auch Fische
Schon damals teilten sich zwei Veterinäre im Zoo die Arbeit. Jarofke war für das Aquarium, sein Kollege Reinhard Göltenboth für die übrigen Zoo-Tiere verantwortlich. Göltenboth hat das europäische Standardwerk zu "Krankheiten der Zoo- und Wildtiere" geschrieben. Im Urlaub vertraten sich die beiden wechselseitig. Ihre Nachfolger André Schüle und Andreas Ochs haben die 21 Reviere anders unter sich aufgeteilt. Im Unterschied zu Jarofke diagnostiziert Schüle, der für das Aquarium zuständig ist, auch bei Fischen Krankheiten und operiert sie.
Jarofke ist seit zehn Jahren in Pension. Seine Erklärungen, ob auf Führungen oder im Buch, sind verständlich und sachlich. Eitel ist er nicht: Er lobt seine Ex-Kollegen und Nachfolger, und er zeigt in seinem Buch eine Galerie von allen 23 Reviertierpflegern zur Zeit seiner Pensionierung, darunter noch Thomas Dörflein oder Reimon Opitz, die inzwischen verstorben sind. Ihnen allen hat er sein Buch gewidmet. "Tierpfleger sind die Leute, auf die es ankommt. Ohne sie ist eine erfolgreiche tierärztliche Arbeit im Zoo nicht möglich."
Dietmar Jarofke: Das Flusspferd Knautschke, unser Freundlicher Nachbar. Schüling Verlag, 152 Seiten, 19,50 Euro. ISBN 978-3-86523-212-0.
Quelle:
http://www.morgenpost.de/berlin/article ... wacht.html
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