ZitatGemeinsam glücklich Schweine sind empfänglich für Musik – und für menschliche Gefühle. Sie fühlen mit, wenn andere leiden
Von Barbara Kollmann Es gibt Schweine, die wissen Bachs Klavierwerk Invention 13 in a-Moll wirklich zu schätzen. Die Connaisseurs leben in Universitätsställen im niederländischen Wageningen, Box an Box mit den größten Bach-Hassern ihrer Spezies. Sie stammen aus der hauseigenen Zucht der Universität, und Forscher haben die Schweine auf Bachs Melodien konditioniert: Einige Tiere durften beim Klang des Klaviers ins Schweineparadies – Stroh, Artgenossen zum Spielen, und neun versteckte Schokorosinen. Die anderen wurden allein in ein kahles Zimmer geschickt. Ziel des Experiments? Die Antwort auf die Frage, ob Schweine Empathie empfinden, ob sie mitleiden, wenn sie spüren, der Nachbar hat Angst. Die Forscher teilten ihre Versuchstiere in Sechsergruppen ein. Je zwei Schweine der Gruppe lernten, mit Musik entweder Schokorosinen oder Einsamkeit zu verbinden, der Rest blieb musikalisch unvorbelastet. Und die Schweine, die nicht wussten, was die Musik zu bedeuten hatte, ließen sich von ihren Kumpeln anstecken, sie zeigten sich mitfühlend, empathisch: Mit den glücklichen Ferkeln voller Vorfreude spielten sie, mit den ängstlichen litten sie: urinierten, quiekten vor Angst. Das war unbekannt: dass Schweine Empathie empfinden für leidende Mitkreaturen. Empathie, so hatte der Primatenforscher Frans de Waal definiert, ist die Fähigkeit, vom emotionalen Zustand eines anderen angesteckt zu werden, die Ursachen seines Zustandes erkennen und seine Sichtweise annehmen zu können.
Die neue Studie ist ein weiterer Grund, das Schwein besser zu behandeln, sagt der Wiener Tierarzt Johannes Baumgartner. Der Professor an der Veterinärmedizinischen Universität Wien ist seit 20 Jahren in den Massenställen Europas unterwegs. Seine überraschendste Erkenntnis: In vielem reagieren Schweine sehr ähnlich wie Menschen.
Berliner Morgenpost: Herr Professor Baumgartner, hat Sie das Ergebnis Ihrer Kollegen überrascht?
Johannes Baumgartner: Nein. Ich kenne schon so lange so viele verschiedene Individuen. Da hat jedes einen ganz eigenen Charakter.
Schweine können Individuen mit eigenem Charakter sein? Da hat jedes einen ganz eigenen Charakter. Es gibt eine große Vielfalt an Persönlichkeiten: scheue, aggressive, verspielte. Schweine sind hierarchisch strukturiert, es gibt ein Oben, ein Unten und eine breite Mittelschicht. Vor allem an den Übergängen der Ränge kann es zu harten Auseinandersetzungen kommen.
Abstiegsängste der Mittelschicht? Ja. Die Kämpfe sind hart, mit Kopfstoßen und Wegdrängen. Ist die Hackordnung geklärt, herrscht Ruhe. In den riesigen Gruppen der Fleischfabriken dagegen lässt sich der Rang nie klären. Für die Tiere ist das Dauerstress.
Kann auch eine Sau der Chef sein? Unter natürlichen Bedingungen führt immer ein weibliches Schwein die Gruppe an. Die heranwachsenden Männchen müssen aus der Gruppe raus und bilden Junggesellenclans. Offenbar sind diese Typen einfach nicht gesellschaftsfähig.
Wie hilft bei diesen Rangkämpfen Empathie? Die schwächt doch eher. Empathie macht das soziale Miteinander erst möglich. Bei Schweinen fängt das schon beim Säugen an: Da bettelt das eine Ferkel, prompt kriegt auch das nächste Hunger. Das haben Sie natürlich nicht bei der Massenhaltung, mit 0,8 Quadratmeter Raum je 120 Kilo Schweinefleisch auf perforiertem Boden …
Ein Bekannter stammt aus einer Familie, die, wie früher häufig, jedes Jahr zwei Ferkel kaufte und mästete. Wurde das erste Tier geschlachtet, litt das zweite. Am Abendbrottisch hieß es dann: "Die Sau frisst nicht." Geschwister stehen sich nahe. Sie erkennen einander, wenn sie sich nach einer Trennung begegnen. Schweine erkennen auch andere Individuen wieder, aber nur über einen begrenzten Zeitraum und höchstens 50. Deshalb sind Mastbetriebe mit 500 Tieren so schlimm. Doch die Zeiten der Hausschlachtung werden Sie nicht wiederbekommen. In Deutschland werden jährlich 60 Millionen Schweine geschlachtet
Die vorher oft viele Kilometer weit in Transportern und auf engem Raum reisen müssen … Bis auf das Be- und Entladen ist der Transport wohl die beste Situation im Leben eines Fabrikschweins. Es erlebt endlich etwas Neues und kriegt Luft.
Was muss sich ändern für Fabrikschweine? Sie müssen Schwein sein dürfen. Sie brauchen Beschäftigung, Stroh zum Kauen und zum Wühlen. Nicht nur die Ferkel spielen, raufen und jagen sich – das sieht übrigens sehr lustig aus. In artgerechter Haltung spielen auch erwachsene Schweine, einer fängt an, und auf einmal sind es 20, die da fröhlich in der Buchte immer im Kreis rumrennen. Normalerweise verbringt ein Schwein 80 Prozent seiner Zeit damit, Futter zu suchen und zu fressen. In den Mastbetrieben gibt es ein- bis zweimal täglich Futter, das ist in fünf Minuten verputzt. Fürs Schwein ist das höchst unbefriedigend.
Könnte so etwas wie ein Schweine-TV im Stall zur Unterhaltung beitragen? TV funktioniert ja noch nicht einmal beim Menschen. Man kann aber durchaus überlegen, die Umwelt interessanter zu machen fürs Schwein. Zum Beispiel Automaten, an denen sie Intelligenzaufgaben lösen müssen, bevor sie ans Futter kommen.
Wie erkennt man ein glückliches Schwein? Es hat die Ohren aufgestellt und nach vorn gerichtet, trägt den Schwanz als Ringelschwanz. Schweine sind nämlich unter natürlichen Bedingungen überhaupt nicht ängstlich, sehr neugierig. Dazu kommt dieses ruhige, ständige Grunzen, mit dem die Schweine untereinander Verbindung halten.
Glauben Sie, dass das kommen wird? Fragen Sie mich in zehn Jahren noch einmal. Wir brauchen eine Systemänderung. Aber ich bin zuversichtlich.
wer sich mal etwas mit Schweinen und ihrer Intelligenz beschäftigt hat, wird diese Tiere nicht mehr essen können. Von meinem Speiseplan sind sie schon viele Jahre gestrichen.
Ich will einfach die Hoffnung nicht aufgeben, dass irgendwann ein Umdenken einsetzt, was die Massentierhaltung betrifft.
Sehr lesenswert! Und Schweine essen wir eigentlich nur noch "ausnahmsweise" und ganz, ganz selten. Das dient nicht nur der Art als solcher sondern auch unserer Gesundheit Lieben Gruß!
Ich esse, außer Schweinefleisch, kein anderes Fleisch mehr (auch kein Geflügel oder Fisch). Ich hoffe, dass ich auch mal auf das Schnitzel und den Schinken verzichten werde.