Am Sonntagmorgen hatte es zu schneien begonnen, als wir uns auf den Weg hinauf nach Grönklitt machten. Ich sah mit einem gewissen Unbehagen den Schnee der die Straße bedeckte und überlegte, ob es nicht klüger wäre, auf einen weiteren Besuch bei Ewa und Wilbär zu verzichten und gleich Richtung Stockholm zu fahren. Aber der Wunsch, die beiden noch einmal zu sehen, war dann doch zu groß. Es würde schon wieder aufhören zu schneien und dann wären die Straßen am Nachmittag sicher besser zu befahren, als während des dicksten Schneefalls.
Die Flocken wurden dicker, als wir das Auto vor dem Bärenpark parkten. Bestimmt 10 cm Neuschnee bedeckten den Weg zur Anlage von Wilbär und Ewa. Wir gingen zielstrebig ins Ausstellungsgebäude, denn draußen blies der Wind einem kalten Schnee ins Gesicht. Es dauerte eine ganze Zeit, bis wir Wilbär und Ewa oben am Hang entdeckten. Sie hatten offensichtlich Spaß an dem Wetter. Sie spielten miteinander und versanken immer wieder im Tiefschnee. Vor allem Wilbär hatte große Probleme zügig vorwärts zu kommen, bei der schlankeren Ewa sah das Laufen im Schnee wesentlich eleganter aus.
Offenbar war ein Morgenimbiss für die Eisbären vorbereitet worden und Ewa hatte ihn als erste gerochen. Und heute hatte sie Hunger, sie ging zügig entlang des Zaunes, wo der Boden weniger nachgiebig war, hinunter zu dem Absperrgehege, wo das Futter auf sie wartete. Wilbär folgte ihr nach einiger Zeit etwas langsamer.
Wir konnten durch den Zaun erkennen, dass sie friedlich nebeneinander fraßen. Dann entschied sich Ewa den Imbiss in der großen Anlage fortzusetzen. Sie trug Stück Fleisch an einem Beinknochen hinaus und begann es zu vertilgen. Wilbär folgte ihr bald und gab sich alle Mühe, es ihr abzuluchsen. Er legte sich vor ihr auf den Rücken hin. Ein wahrer Augenschmaus. Wer sollte ihm wohl widerstehen? Ewa offenbar nicht. Kaum hatte Wilbär den Knochen, an dem eine Ende zwischen den Zähnen, gab sie auf und überließ ihm ihre Beute.
Sie inspizierte ein altes Loch, während Wilbär ein bisschen fraß und ein bisschen mit dem Futter spielte. So einen Knochen kann man prima wegwerfen. Dann machte sich Ewa an den Aufstieg auf den Schneeberg, schließlich warteten dort noch weitere Tunnelarbeiten auf sie. Als Wilbär merkte, dass seine Partnerin oben buddelte, überließ er seinen Knochen den Elstern, die schon darauf gewartet hatten, sich an dem gütlich zu tun, was ihnen die Eisbären übrig gelassen hatten. Man hofft in Orsa, dass dieser Schneeberg bis in den Herbst hinein erhalten bleibt. Man hat schon früh im Winter damit begonnen, ihn mit Hilfe der Schneekanone aufzutürmen. Er ist im Innern aus Eis, das nur langsam schmilzt. So werden die Bären vielleicht in diesem Jahr länger von ihrem Gletscher haben, als im letzten Jahr, wo die Schneekanone erst im April/Mai kurz vor der Eröffnung zum Einsatz kam.
Die beiden Bären spielten oben in ihrem Tunnel. Der dicke Wilbär lag darin, während die schlanke Ewa auf einer Eisbrücke über ihm stand. Das alles konnte man durch die Bäume beobachten, aber wenn man es fotografieren wollte, war immer ein Baum im Weg. Schließlich balgten sich die beiden oben auf dem Berg, wo man sie zaunfrei beobachten konnte.
Es hatte mittlerweile aufgehört zu schneien und nun war es wieder Zeit für eine Siesta. Wilbär buddelte sich gemütlich ein Bett im Schnee ziemlich nah am Zaun. Ewa schaute sich zuerst einmal genau an, wer ihr da heute wieder zuschaute. Sie brummte leise, während sie uns anschaute und mit ihrer Nase unseren Geruch erschnupperte. Dann legte sie sich ganz eng an den Zaun hin. Wir schauten den beiden eine Zeit zu. Sie mussten zuerst die richtige Schlafposition finden, der Kopf musste in die bequemste Stellung gebracht werden, die Tatzen zuckten, ob die Beiden wohl träumten.
Mir wurde es trotz meiner dicken Winterkleidung kalt und ich entschied mich zu einem Abschiedsrundgang durch den Bärenpark, hinauf zum Tiger Mountain, von wo ich ein Foto von Wilbär und Ewa machen konnte, wie sie ganz nahe am Zaun lagen. Ich schaute bei den Wölfen, Braunbären und Luchsen vorbei. Als ich unten wieder ankam, sagte mir Liesel, ich hätte nichts verpasst. Die beiden hätten die ganze Zeit geschlafen, nur Ewa habe sich einen anderen Schlafplatz gesucht.
Als eine Familie mit einem Kind auf einem Schlitten vorbeikam, hob Ewa den Kopf, als der Schlitten ein Geräusch machte. Neugierig schaute sie hinüber, was das wohl war. Dann machte sie die Augen wieder zu. Eigentlich wäre das jetzt ein guter Zeitpunkt gewesen aufzubrechen. Aber die beiden Eisbären konnten ja jeden Augenblick wieder wach werden, also gaben wir uns noch eine halbe Stunde im Bärenpark.
Ewa machte den Anfang, sie reckte und streckte sich, stand auf und kam hinunter zu der Stelle, wo die blauen Kanister darauf warteten bespielt zu werden. Einer der Kanister war noch nicht platt gespielt worden Ewa wollte das offensichtlich ändern. Schließlich hatte Wilbär ihr beigebracht, wie man mit einem blauen Kanister umgehen muss. Sie positionierte ihn, stellte sich darauf, hopste und drückte ihn in den Schnee. Aber der Kanister leistete Widerstand. Er wollte und wollte nicht ganz platt werden.
Irgendwann merkte dann auch Wilbär, dass Ewa gerade mit einem seiner Kanister spielte. Er kam herunter zu ihr, schien aber noch nicht ganz wach zu sein. Er legte sich genau neben sie und sah zu, wie sie weiter den Kanister bearbeitete. Dabei war ihr ihr dicker Beobachter oft im Weg und es fehlte nicht viel, dass sie ihm beim Spiel auf den Kopf getreten wäre.
Nach einiger Zeit war Ewa dann wohl der Auffassung, jetzt sei Wilbär dran. Der Kanister wurde übergeben und Wilbär begann langsam und noch ein wenig schläfrig damit zu spielen. Er begann im Liegen, trug dann ihn dann aber hinüber zu dem Wasserloch, um ihn dort über das Eis zu schieben.
Als Ewa dann aber in die kleinere Anlage herüber ging, ließ Wilbär seinen Kanister im Stich und folgte ihr. Die Sonne war dabei durch die Wolkendecke durchzubrechen. Wir verschoben unsere Abfahrt um eine weitere halbe Stunde und positionierten uns vor dem Zaun, wo wir ihnen zuschauen konnten.
Wilbär ging recht zielstrebig zum Wasserloch des Sees und begann damit, es langsam und akribisch zu vergrößern. Ewa schaute ihm einige Zeit zu, kümmerte sich dann etwas um ihre eigenen Löcher und machte einen Inspektionsgang durch den frisch gefallenen Schnee.
Wilbär unterbrach seine Eisarbeiten ab und zu lief zu Ewa hinüber und spielte mit ihr. Aber irgendetwas zog ihn immer wieder zu dem Loch zurück. Eisstücke wurden herausgebrochen, durch die Luft geworfen und mit den Tatzen über das Eis geschoben. Ewa half ihm ein paar Mal und wäre dabei beinahe im Wasser gelandet. Ihr ganzes Vorderteil versank im Wasser, aber sie schaffte es gerade noch nicht hinein zu fallen.
Wir waren ein bisschen enttäuscht, hofften aber immer noch darauf, dass wir einen der beiden Bären im Wasser schwimmen sehen würden. Da geschah es. Wilbär – der ja eine andere Gewichtsklasse hat als Ewa – brach auf dem dünnen Eis am Lochrand ein und landete vollständig im Wasser.
Noch nie habe ich einen Bären so schnell wieder aus dem Wasser kommen sehen. Offenbar hatte die „Weiße Wampe“ genau das gebraucht, um richtig wach zu werden. Er wälzte sich im Schnee, um sein Fell zu trocknen und rannte dann voller Lebenslust durch den Schnee, den Berg hoch hinter Ewa her und dann wieder hinunter zu Loch. Er machte richtige Bocksprünge.
Wir verschoben unsere Abfahrt um eine weitere halbe Stunde, denn scheinbar gab es da etwas in dem Loch, das Wilbär unbedingt haben wollte. Er brach immer wieder Eisstücke vom Rand des Loches ab, achtete aber jetzt darauf, dass sein dicker Hintern sicher auf dem Land war. Er steckte den ganzen Kopf ins Wasser und brachte dann nach einiger Zeit einen weißen Kanister zum Vorschein, der dort wohl vor einiger Zeit eingefroren war.
Wir mussten beide lachen. Das war wohl genau das, was man von Wilbär erwarten musste. Was hätte es auch anderes sein sollen? Wir schauten ihm noch eine Zeit zu, wie sitzend mit seinem Fund spielte und ihn ein Stück wegwarf. Als er ihn in den Mund nahm und wegtrug, brachen wir wehen Herzens auf. Eigentlich hätten wir gerne noch länger zugeschaut, aber es wurde höchste Zeit. Wir hatten noch über 300 Kilometer auf verschneiten Straßen vor uns, und wir mussten rechtzeitig in Arlanda ankommen, um den Leihwagen abzugeben.
Es war einmalig schön im Björnpark in Orsa Grönklitt oben auf dem Berg. Es war anders, als ich es erwartet hatte, obwohl ich im Sommer schon einmal dort gewesen bin und einige Videos und Fotos von dort gesehen habe. Ich finde nicht die richtigen Worte, um es zu beschreiben. Diese Eisbärenanlage ermöglicht den Bären ein Leben, das so nah an einem Leben in Freiheit ist, wie es in einem Tierpark nur irgendwie möglich ist. Wir haben Ewa und Wilbär in ihrem Reich beobachten können, in einem - zwar eingezäunten - Lebensraum, der ihnen aber genug Abwechslung und Reize bietet, dass sie ein wirklich ausgefülltes, aufregendes Eisbärenleben haben. Ich bin mir sicher, dass ich von nun an, wenn ich Eisbären in anderen Zoos sehen werde, das mit anderen Augen und mit einer anderen Einstellung tun werde. Ich habe jetzt gesehen, wie eine Eisbärenanlage aussehen sollte, wie man mit Eisbären in Zoos umgehen sollte. Eisbären brauchen keine Unterwasserscheiben oder aufwändige Filteranlagen, die für glasklares Wasser sorgen, damit die Zoobesucher sie auch noch im letzten Winkel des Beckens beobachten können. Das alles ist schön für die Menschen, die die Zoos besuchen. Eisbären brauchen vor allem genügend Platz und eine Anlage, die alle ihre Sinne anspricht und Menschen, die sie auf eine Art beschäftigen, die ihr natürliches Verhalten fördert. Mir ist klar, dass man nicht überall so viel Platz wie in Orsa hat, man muss in Stadtzoos Kompromisse eingehen und mit Beschäftigung und anderen Mitteln versuchen, den fehlenden Raum zu kompensieren. Ich hoffe aber, dass Orsa Schule machen wird und andere diesem Beispiel folgen werden, damit noch viele andere Eisbären genauso glücklich leben können wie Ewa und Wilbär.
Und auch wenn mir jetzt einige böse sind, das muss ich schreiben: Ich bin traurig, dass es im Augenblick nicht so aussieht, dass Knut auch auf solch einem Platz leben wird.
Fahrt doch alle einmal nach Orsa, denn wirklich verstehen kann man es nur, wenn man es selbst gesehen hat.
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