RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#1 von ConnyHH , 24.03.2011 01:57

Ein Bärliner zum Knutschen
Wie sich die Welt an den Eisbären Knut erinnern wird


An einem kühlen Märztag des Jahres 2007 packt Annie Leibovitz in New York ihre Koffer, setzt sich in den Flieger nach Berlin. Die US-Starfotografin hat wie immer ihre Kamera-Ausrüstung dabei. Im Zoo bringt sie die Technik in Stellung, knipst los. Bis sie das Foto im Kasten hat, das Knut auf der Titelseite der "Vanity Fair" zeigt - als vierbeinigen Klimabotschafter. Neben ihm Hollywood-Schauspieler Leonardo DiCaprio in Polarklamotten auf einem Gletscher. Die Fotomontage erregt Aufsehen rund um den Globus. Nun ist er Knut, der Weltbär.

Was man auf Annie Leibovitz' Foto nicht sieht: Wie der kleine Kerl neugierig an ihren Schuhen schnuppert. Wie er mit seiner feuchten Nase dagegen stupst. Wie verspielt er um sie herum hopst. Wie er immer wieder an ihr hochspringt. Das sind die Momente, in denen sich die berühmte Fotografin in den flauschigen Kerl zu ihren Füßen verliebt. Ihr ergeht es nicht anders als Millionen von Besuchern, die mitunter vom anderen Ende der Erde anreisten, um Knut zu begegnen. Und es hat sich gelohnt. Der kleine Eisbär schenkte Augenblicke des Staunens, zauberte Lachen auf Gesichter, trug Freude in Herzen.

Lassen wir diese Bilder noch einmal vor unseren Augen erstehen. Denn das sind die Dinge, die von Knut bleiben werden.

Der erste Geburtstag. Das Kinderlachen um Knuts Gehege ist heute noch ein bisschen lauter, ein wenig ausgelassener als gewöhnlich. Wer unter 15 ist, darf an diesem Mittwoch umsonst rein. Knut knabbert zufrieden an seiner Torte aus Eis, Obst, Gemüse, zeigt sich wenig beeindruckt vom vielstimmigen "Happy Birthday". Großes Hallo, als Ziehpapa Thomas Dörflein kommt - zum Gratulieren und zum Spielen.

Der kleine Eisbär wächst und gedeiht und wird am 5. Dezember drei weitere Geburtstage im Kreise seiner Fans begehen. Unter ihnen gibt es welche, die wollen nicht ein Jahr bis zum nächsten Jubiläum warten. Sie setzen sich puschelige Eisbären-Ohren auf, feiern alle drei Monate eine Geburtstagsparty am Knut-Gehege. Dörfleins Prophezeiung hatte sich nicht erfüllt: "Wenn er groß ist, interessiert sich niemand mehr für ihn."

Auch das gehört zum Knut-Phänomen. Als der Eisbär das Kindschema vom niedlichen Knuddel längst nicht mehr ausfüllt, wenden sich die Menschen nicht ab, versuchen, im großen Bären den kleinen zu finden. Als in Nürnberg das Eisbärenmädchen "Flocke" das Licht der Welt erblickt, in Stuttgart "Wilbär" geboren wird, schmälert das nicht den Hype um Knut. Er ist was Besonderes, und das nicht nur, weil acht von zehn Eisbären-Babys beim Versuch sterben, sie mit dem Fläschchen aufzupäppeln. Legenden kann man nicht erklären.

Der Berliner Zoo meldet Besucherrekorde. Der Bär wird auf einer Münze verewigt, erscheint auf einer Briefmarke. Es gibt Leute, die am liebsten Berlins Wappen umfärben, den Braunbären in einen Eisbären verwandeln würden. Immerhin schafft es das Fellknäuel mit den süßen Knopfaugen für eine gewisse Zeit ins Logo des Berliner

KURIER. Als sein Konterfei wieder von Seite 1 verschwindet, macht das manchen Leser traurig. Ohne Frage: Knut ist das heimliche Wappentier.

Knut war gerade zwei Monate alt, als Berlinale-Gäste von Filmfest-Stelen am Potsdamer Platz ein "Welcome Knut" entgegen prangte. Das angereiste Hollywood war keine Konkurrenz für die "Bärlinale", die der Zoo zu bieten hatte. Ein Eisbärchen stiehlt allen die Show. Und Ernst, der kleine Malaienbär, führt nur wenige Meter entfernt ein stiefmütterliches Dasein.

Knut ist ein Star und weiß es nicht. Wenn er sich auf die Grabenkante seines Geheges stellt, die rechte Pfote erhoben, als würde er winken, scheint es, als wolle er für Kameras posieren. Doch Eisbären - auch wenn sie Knut heißen - sind kurzsichtig. Knut sieht uns nicht, erkennt keines der fröhlichen Gesichter, auch wenn Münder aufgeregt rufen: "Er hat mich angeguckt!" Knut nimmt nur einen Wall aus Menschen wahr. Doch einen vertrauten Duft vergießt er nicht. Er weiß sofort, wenn Ziehpapa Thomas naht.

"Alles wird Knut" landet auf Platz 10 der Liste zum "Wort des Jahres 2007". Alles wird gut? Als ihn das Cover der "Vanity Fair" zeigte, hoffte man, er könnte Menschen aufrütteln, auf die bedrohte Art aufmerksam machen, auf schmelzende Polarkappen. Knut als Symbol für die kranke Umwelt.

Nun ist er selbst von der Bildfläche verschwunden, und auf der Homepage des legendären US-Magazins erscheint ein Foto vom kleinen Eisbären mit den traurigen Worten "Knut, wir kannten dich kaum".

Doch es kommt nicht auf die Zeitspanne an, die uns jemand begleitet. Sondern was er bewirkte. So gesehen haben Eisbär Knut und Ziehpapa Thomas ihren Auftrag erfüllt. Nun sind sie vereint, sagt man, um sich über den schmerzlichen Verlust hinwegzutrösten. Ich stelle mir Thomas Dörflein vor, der sagt: "Hey, alter Junge" - und die Balgerei beginnt.

IRINA SCHRECKER

Quelle: B.K. online / 24.03.2011



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RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#2 von water , 24.03.2011 18:06

Sie hat dies sehr schön geschrieben und ja, auch ich fand den älter werdenden Knut genauso interessant und wunderbar wie den kleinen Knut.

 
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RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#3 von ConnyHH , 24.03.2011 20:49

@Water
Ich war für einen Moment am Überlegen, ob ich diesen Artikel hier einstellen soll, weil er ja von einer Zeitung kommt, die wir sehr ungern bzw. gar nicht einstellen, aber dieser Bericht ist echt toll geschrieben und sehr sehr lesenswert - besonders der letzte Absatz hat mich sehr berührt. :heart: :weinend:



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RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#4 von Gelöschtes Mitglied , 24.03.2011 21:20

Der letzte Absatz geht einem auch ans Herz - weil man es sich auch bildlich vorstellen kann :heart:


RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#5 von Nordlandfan38 , 24.03.2011 22:23

Hallo Conny!

Ich hatte diesen Bericht heute Mittag gelesen und hätte ihn da gern gepostet, weil ich ihn auch gut fand. Aber ich habe mich das nicht getraut, gerade eben, weil er von der Sorte Zeitungen stammt, aus denen man nichts schicken soll.

Ebenso hatte ich schon arge Gewissensbisse, das von dem "Großen Knut-Album" zu schicken, das ja ebenfalls von einer solchen ähnlichen Sorte Zeitung kam.

NoLa

 
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RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#6 von ConnyHH , 25.03.2011 10:34

@NoLa
Wir stellen in der Regel von den 3 einschlägig bekannten Zeitungen nichts ein - aber Ausnahmen bestätigen die Regel...
Dieser Artikel ist so eine Ausnahme, denn er ist sehr schön geschrieben.

Man muss halt abwägen, ob der Inhalt eines Artikels das zulässt und Du kannst uns sonst auch gerne vorher via PN kontaktieren.

Sei lieb gedrückt :heart:



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RE: Ein BÄRliner zum Knutschen...

#7 von Nordlandfan38 , 25.03.2011 12:48

@Conny

Ja, gut, o.k. - das könnte ich dann machen. Das ist ne gute Idee.

Danke und lieben Gruß,
NoLa

 
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