RE: Wilhelma (Stuttgart): Kampf gegen Beschäftigungsmangel

#1 von Nordlandfan38 , 17.05.2011 23:53

Oh, wie interessiert uns gerade dieses Thema ! Eigentlich müßte man diesen Artikel dem Berliner Zoo schicken !

Mit einem Hund kann man Gassi gehen, die Katze einfach rauslassen - was aber sollen die Tiere in der Wilhelma tun, wenn ihnen langweilig wird ? Abhilfe bringt ein buntes Unterhaltungsprogramm...

Mehr darüber:

http://www.swp.de/goeppingen/lokales/go ... 583,965778

NoLa

 
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RE: Wilhelma (Stuttgart): Kampf gegen Beschäftigungsmangel

#2 von water , 18.05.2011 08:42

Mir gefällt der Ansatz, dass die Beschäftigung der Tiere wichtiger ist als die "ästhetische" Sichtweise des Zuschauers. Ich schaue mir lieber Tiere mit buntem Beschäftigungsmaterial (auch wenn Kunststoff) an, die im wilden Spiel sich damit beschäftigen heißt aktiver sind. Da habe ich als Zuschauer mehr Spaß an der Aktivität der Tiere als ein Kopfschütteln über den "Müll". Baumstämme lassen sich nun mal nicht wie ein Seehund um den Kopf schlagen, Aussidogs dagegen schon.
Baumstämme und Zweiglein können zusätzlich da sein, da auch hiermit sich beschäftigt wird. Aber es ist zu beobachten, dass sie nicht denselben Anreiz haben wie z.B. diese crazy eggs. Diese Einstellung hat sich in den meisten Zoos herumgesprochen und wird umgesetzt.
Sind die Biologen der anderen Zoos alles keine Experten? Ist es alles Unsinn?
Kann die Berliner Zooleitung mit ihren Äusserungen dies weiter so suggerieren?

 
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RE: Wilhelma (Stuttgart): Kampf gegen Beschäftigungsmangel

#3 von Gitta ( gelöscht ) , 18.05.2011 09:12

Zumal der Zoo den Anspruch erhebt, den Besuchern die Tiere näher zu bringen; und zwar in ihrem Verhalten und nicht nur in ihrem Phänotypus!
Da kann ich auch in ein Museum gehen.

Es ist doch besonders schön, ein Tier in einem ihm arteigenen Verhalten agieren zu sehen; anschleichen, spielerisches Kämpfen, Zerrspiele, Dominanzverhalten.

Nicht umsonst lernen gerade Jungtiere im Spiel, wie sie sich als Erwachsenen zu verhalten haben.

Dass auch adulte Tiere gerne spielen, lässt sich durch unzählige Bilder und Filme dokumentieren.
Jedem, der das leugnet muss ich einen Mangel an Beobachtungsgabe attestieren.

Von der Unterbrechung der Langeweile oder des stereotypen Verhaltens brauche ich gar nicht weiter zu reden.

Für mich ist es die ethische Pflicht, ein Tier, das ich einsperre oder in einem stark begrenzten Biotop aufwachsen lasse, entsprechend zu beschäftigen.

Und da muss ich sagen: Der Zweck heiligt die Mittel.
Ich muss ein Gehege nicht als "Müllkippe" verkommen lassen.
Tiere verlangen nach Abwechslung, Haustiere wie Zootiere.
Bei Kindern ist das nicht anders.

Genügend Zoos machen vor, wie das geht.

Ein erwachsener Eisbär, der sich ab und an mit einem Zweiglein vergnügen darf oder Blätter von einem Ast zupfen kann, kann leider so gar nichts von seinem Potential zeigen.

Eisbären gehören mit zu den kraftvollsten Tieren.

Für Zuschauer ist es sehr beeindruckend, wenn sie das unter Beweis stellen dürfen.

Aber, was nicht ist, kann ja noch werden.

Gitta

RE: Wilhelma (Stuttgart): Kampf gegen Beschäftigungsmangel

#4 von AdsBot [Google] ( gelöscht ) , 18.05.2011 13:33

Ich denke, bei der Erlaubnis Tieren im Zoo aktive Beschäftigungsmöglichkeien zu gewähren, schliesst sich der Kreis zum Bedauern über rückgängige Einnahmen in diesem Artikel viewtopic.php?f=204&t=7137&p=105145#p105145

Wenn mittel- und langfristig die Wünsche der Gäste ignoriert werden, sind Einnahmerückgänge vorprogrammiert. Abzulesen bei den Besucherzahlen im Berliner Tierpark. Die sich zwischen 1989 und heute im mehr als 65 Prozent (!) verringert haben. Sicher sind dort auch andere Effekte verantwortlich, aber das vier-Zäune-sind-ein-Gehege-Prinzip und das wir-stellen-unsere-Tiere-aus reichen heute eben nicht mehr. Vor allem, wenn Zoofreunde so mobil sind wie heute. Sie besuchen dann eben Zoos, in denen die aktive Beschäftigung aller Zootiere Teil der pflegerischen Tätigkeit ist,

Auch wenn es für die Zootierfotografie wesentlich einfacher ist, stehende oder liegende Zootiere zu portraitieren, so nehme ich mir gern die Zeit und verweile an einem Gehege länger, wenn ich dann mit so einer Spiellaune "entschädigt" werde



Das 'crazy egg' hatte übrigens keinen Wasserantrieb, sondern ein Loch. : D

Zwischen einem Biologen als Zoodirektor und einer Biologin als Zoobesucherin können durchaus ganz erhebliche Unterschiede in der Sichtweise auf die Beschäftigungsmöglichkeiten von Zootieren bestehen, fällt mir auf. : D Jener bezeichnet schon die Haltung in Gruppen - auch von den Grossteil des Jahres solitär lebenden Arten - als "Beschäftigung". Ausserdem werden Käfiggitter als Baum- oder Waldersatz angeführt.

Ich denke, dass da noch einige "Bretter zu bohren" sind, ehe Zoobesucher auch in Berlin die tägliche aktive Beschäftigung aller Zootiere werden geniessen können. Und ja: auch Ameisen können beschäftigt werden!



Hier hatte sich der Herr Lloyd am ersten Tag, nachdem unsere Spielzeugspenden im grossen Gemeinschaftsgehege und auf der Mutter-Kind-Anlage angekommen waren, gleich beider Teile bemächtigt. Er war einfach zu Viktoria hinüberspaziert, nachdem der Schieber geöffnet worden war und hatte sich auch ihr Spielzeug geholt.Übrigens wurden im Zoo am Meer in Bremerhaven die aussiedog-Teile auch in der Lieblingseisbärenfarbe blau angenommen. Sie mussten nicht zoodirektorengrün sein.

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RE: Wilhelma (Stuttgart): Kampf gegen Beschäftigungsmangel

#5 von Nordlandfan38 , 19.05.2011 00:02

Hallo Barbara!

Danke für Deinen Beitrag zu diesem wichtigen Thema! Da muß ich zu allen Punkten zustimmen! Das Zurückgehen der Besucherzahlen müßte doch inzwischen endlich mal auch den Zooverantwortlichen auffallen! So was ist doch kein Zufall. Sogar am Sonntag im Berliner Zoo waren am Nachmittag unglaublich wenig Besucher da - auch gestern. So viel, die man kannte, sind weg geblieben. Du erwähnst, "daß die Besucherzahlen im Berliner Tierpark sich zwischen 1989 und heute im mehr als 65 Prozent (!) verringert haben." Das ist ja mehr als schlimm!
Ich habe so manchen auswärtigen Besucher reden hören: ja, wenn die Bären nichts zum Spielen haben und "bloß" rum liegen, warum soll ich nach Berlin reisen, wenn es Zoos gibt, wo die Tiere beim Beschäftigen mit Spielzeug viel interessanter aussehen. Da macht doch das Betrachten und auch das Fotografieren der Bären viel mehr Spaß, als wenn man nur langweilige Bilder hat, auf denen die Tiere liegen und vor Langerweile nicht wissen, was sie tun sollen. Ich kann sie durchaus verstehen.

Ich jedenfalls wünsche mir auch und vor allem eine grundlegende Verbesserung für alle lebenden Tiere im Zoo und Tierpark. Und nicht allein nur für die Eisbären! Ich sehe z.B. auch die anderen Tiere, z.B. die anderen großen und kleineren Raubtiere, die den ganzen Winter über auf einem kleinsten Fleck ausharren müssen, sich nicht zurückziehen können, den ganzen Tag nur begafft werden, den Lärm der Besucher aushalten müssen... und z.B. auch die großen und kleineren Vögel... Wenn man durch deren Innen- bzw. Außengehege geht, sieht man diese Tiere, wie auch sie gelangweilt auf dem Ast sitzen - ohne auch nur etwas Grünes oder etwas zum Beschäftigen zu haben. Vögel ohne Grünzeug kann ich mir gar nicht vorstellen, aber bei uns im Zoo können so manche Vögel sich nicht mal an einem Blatt erfreuen, es betrachten, wie es sich bewegt, hören, welche Geräusche es macht.... geschweige denn mal sich hinter einem solchen verstecken oder daran zupfen zu können...
Die Tiere, die so gehalten werden, warten quasi tagein, tagaus nur auf´s Futter, auf den Abend, auf den Morgen, auf den Tod! Was für ein Leben! So was wird unseren Kindern zum Betrachten angeboten, und dann sollen sie den Tieren mit Respekt begegnen und wie sollen sie lernen, daß auch die Tiere eine Würde haben. Was für einen pädagogischen Wert hat so was denn?

Der Mensch hat die Tiere nicht bekommen, um sie auf unterschiedlichste Weise zu quälen. Die Menschen sollten sich die Erde zwar "untertan" machen, aber das heißt: sie sollten die Tiere akzeptieren und hegen, pflegen, bewahren, schützen... - aber niemals sollten sie einfach so gequält werden, weder als Ausstellungsstücke in viel zu kleinen Gehegen noch sonstwie auch außerhalb vom Zoo, wo manche Menschen nur ihren Frust an Tieren auslassen, wo die Tiere gar nichts dafür können, aus welchen Beweggründen auch immer diese Menschen das tun.

Aber, wenn man den Kindern im Zoo vorzeigt, wie man die Tiere einfach nur so minderwertig aufbewahrt und ihnen nicht zeigt, wie sie eigentlich wirklich zu verstehen und zu behandeln sind, wie und wo sollen die Kinder denn von dem jeweiligen Tier im Zoo dessen verhältnismäßig natürliches Verhalten die richtige Erkenntnis erhalten, wenn ein Zoo nicht in der Lage ist, den gefangen gehaltenen Tieren es so gut wie möglich zum machen, ihnen das Gefängnis wenigstens mit Ersatzbeschäftigungen ihr unnatürliches Leben erträglich zu machen. Wenn z.B. Affen aus langer Weile und Frust ihren Kot an die Zuschauerscheibe werfen und sich auch sonst ganz unnatürlich verhalten, oder wenn Raubtiere in Lethargie stundenlang stur am Zaun entlang laufen oder wie unsere Eisbärin Tosca so oft stundenlang 2,3 Schritte vor bzw. zurück läuft mit wiegenden Kopfbewegungen, dann ist es das, was die Kinder aufnehmen und auch mit nach Hause nehmen: so sind diese Tiere auch in der freien Natur... -
(und zwischendurch gibt es Besucher, die sich über die unnatürlichen Verhaltensweisen der Tiere lustig machen - ohne nachzudenken. Auch das kriegen so oft die Kinder im Zoo mit - auch so manche Eltern der Kinder habe ich sich lustig machend zu ihren Kindern reden hören!!!
Aber in den Tiersendungen der Tierfilmer, die diese Tiere vor Ort im realen Leben filmen, da wird ihnen ja ganz was anderes vermittelt. Man könnte eigentlich auf solche Zoos verzichten, die den Kindern völlig falsche Verhaltensweisen der Tiere zeigen. Das Pädagogische kann ein solcher Zoo jedenfalls nicht geben. Wenn man mit Schulklassen in den Zoo geht, dann hat der Lehrer aber eine gehörige Aufgabe, all das irgendwie auszugleichen! Und woher soll er die Zeit dafür nehmen? Aber das, was die Kinder durch den Besuch gesehen haben, das setzt sich fest in ihrer Erinnerung.

Der Berliner Zoo hat sehr viel Beschäftigungsmaterial von Besuchern gespendet bekommen, was den Tieren einfach nicht gegeben wird, es wird ihnen verweigert.

Man merkte dem Knut an, wie ungelenkig er geworden war, als er auf der neuen Anlage lebte. Das war er längst nicht so auf der alten Anlage. Und wenn er dann noch öfter mal in einer ängstlichen Kauerstellung rum lief, das war doch recht schlimm.
Man wird wirklich auf alle anderen Zoos neidisch, die den Tieren jede Menge Spielzeug zum Beschäftigen geben. Spiel- bzw. Beschäftigungsmaterialien dienen auch den Tieren als Kommunikationsmittel. Macht ihnen Spaß... und den Besuchern schließlich auch!

Nur faul rum liegen und auf´s Futter warten bzw. auf´s Reingehen, das ist doch wirklich echt traurig - ein Dahinvegetieren. Oh, ich möchte da nicht als Tierpfleger angestellt sein. Da gibt es doch so viele Tierpfleger, Reviertierpfleger, einen Kurator und mehrere Tierärzte - und die schaffen es nicht, den Dr. B. mit Argumenten zu überzeugen? Ich kann mir das gar nicht vorstellen.

NoLa

 
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RE: Wilhelma (Stuttgart): Kampf gegen Beschäftigungsmangel

#6 von AdsBot [Google] ( gelöscht ) , 20.05.2011 18:01

NoLa,
mit dem pädagogischen Effekt hast Du einen sehr wichtigen Punkt angesprochen. Ich würde ihn nicht auf die Kinder begrenzen. Was für Botschaften gehen denn von den kleinen, bis auf einen Vogel leeren, Käfigen aus? Dass man ein flugfähiges Tier so halten darf? Von da aus ist der Gedankensprung zu Vögeln in Zimmerkäfigen schnell gemacht. Und auch da fragt sich: dürfen wir das?

Bei vielen der An- und Einblicke, die uns in sog. "klassischen Zoos" geboten werden, kommt man doch leicht ins Grübeln.Eine Frage führt zur nächsten: ist es richtig Tiere in solche Käfige zu setzen? Dürfen wir sie aus der Natur entnehmen bzw. wenn sie in Zoos geboren sind, nicht wieder in ihre Habitate zurückbringen? Welche Haltebedingungen sind denn ausreichend bei dem unausgesprochenen Vertrag, den wir mit Zootieren schliessen: "Wir zeigen einzelne von Euch, damit wir Menschen begreifen, dass wir die Natur schützen müssen"? Kommen wir mit dem Halten von Wilditeren in Zoos dem Ziel des Umweltschutzes überhaupt näher? Oder bieten nicht gerade die Zootiere die Ausrede dafür ungebremst Habitate zu zerstören und hemmungslos Entnahmen aus der Natur vorzunehmen? "Wir haben ja die und die Arten in Zoos, dann macht es ja nichts, wenn ihr Lebensraum verloren geht".

Wieviel Artenschutz wird von Zoos verglichen mit den insgesamt verloren gehenden Arten tatsächlich praktiziert? Wie hoch ist der Prozentsatz der Tiere am Gesamtbestand in Zoos, die in ihre Lebensräume zurückgebracht werden? 1 Prozent? 0,1 Prozent?

Und dann die Frage, die sich Zoobesuchern angesichts beschäftigungsloser Tiere in tristen Käfigen stellt:
und so etwas unterstütze ich mit meinem Eintrittsgeld?

Was kostet eine Wagenladung Zweige für Zootiere? Wie aufwändig ist es die Gartenbauabteilungen den Baumschnitt im Zoo abliefern zu lassen?

Perfide finde ich, wenn auf den einen Zweig, den Primaten in gefühlten 100 Jahren erhalten, hingewiesen und behauptet wird: wir beschäftigen unsere Tiere.

Das Zootier sitzt 365 Tage im Jahr, 24 Stunden in seinem Gehege! Und kann im Zweifel nicht einmal nach Nebenan gehen, um eine Pause vom Angestarrtwerden oder noch gemeiner vom Angeblitztwerden zu bekommen. Die Frage stellt sich, ob nicht gerade die klassischen Zoos "Zoogegner" produzieren. Ich habe hier und da gehört, dass angesichts der Bewegungslosigkeit in Sachen Tierhaltung in Berlin auf Zoobesuche ganz verzichtet wird bzw. davon gesprochen wird, dass man angesichts der Tierhaltung leicht zum Zoogegner werden könne.

Einen Lichtblick bieten Menschen, die sich umfassend Gedanken darüber machen, wie und ob man heute und in Zukunft Tiere in Zoos halten sollte und wie das Zusammenleben zwischen Menschen und Tieren gestaltet werden kann. Einer davon ist der Gehegedesigner John Coe, dessen website eine Fülle an Gedankenanstössen bietet

http://www.joncoedesign.com/

Wenn man so jemanden rechtzeitig ins Boot holt, dann müssen Gehege nicht schon bei ihrer Eröffnung so aussehen, als seien sie nicht mehr zeitgemäss. Mein Lieblingszitat von John Coe ( aus "Collaborative Enrichment" )
Reflect for a Moment: What do you want zoos and aquariums to be like in the distant future
and in your dearest dreams?

Personally, I’d like them all to become unnecessary, extinct. I’d like to see the world as an “unzoo” (Coe 2005), where people and other animals will live in close association based upon mutual benefit, collaboration and choice, rather than captivity and coercion. Exotic animals will still be seen in large contained ex situ sanctuaries, but these would be far less behaviourally confining than anything we see today. Pristine ecosystems will be preserved, of course, and restored ecosystems restocked from zoos, aquariums, sanctuaries and preserves. Free ranging native animals, aquatic and terrestrial, also will be accommodated in and around our houses, farms, towns, cities and coastlines.

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