Ich bin ein Berliner
Robert Seuntjens, Amphibienpfleger
Sonntag, 4. September 2011 03:24 - Von Claudia Becker
Er sieht aus, als würde er lächeln. Küssen will man ihn nicht. Aber über seine glatte Haut streichen. Ganz zart. Aber will er das? Der Korallenfinger-Laubfrosch, der sich da an Robert Seuntjens Hand klammert, wirkt verschreckt.
Wie ein kleines Kind schmiegt er sich an seinen Pfleger, den Mann mit den wilden Locken, der das Terrarium des grünen Lurchs sauber hält, ihm Wasser bringt und regelmäßig frische Spinnen und Insekten. "Der Mensch ist in erster Linie ein Futterspender für das Tier", sagt Robert Seuntjens, Reviertierpfleger im Aquarium des Berliner Zoos und zuständig für Amphibien und Insekten. Da will er sich nichts vormachen.
Grillen zirpen in den hellen Räumen. Hinter Glasscheiben lungern Vogelspinnen herum. Die ersten Besucher schauen durch die Scheiben der Terrarien. Hier, in den oberen Etagen, drängeln sich die Gäste nicht wie im Erdgeschoss, vor den Aquarien, in denen Regenbogenfische und Buntbarsche ihre Runden drehen. Die Amphibien und Bewohner des Insektariums sind nicht die Stars des Berliner Zoos. Gerade deshalb arbeitet Robert Seuntjens so gerne mit ihnen. "Weil sie unbeliebt sind und ich den Leuten vermitteln will, dass es ganz tolle Tiere sind", sagt er. Dass die Besucher, die heute Morgen den Weg nach oben gefunden haben, nicht "Ihhh!" rufen, das findet er gut. Sie staunen über die Gottesanbeterinnen, die Blattschneideameisen und Skorpione. Und über die Amphibien. 500 von jenen Geschöpfen leben hier, sie sind deshalb so interessant, weil sie den Übergang vom Wasser- zum Landtier markieren.
Sie sind feucht und kühl. Kröten, Unken, Lurche und Salamander. Keine Kuscheltiere. Kein Zufall, dass im Märchen der Frosch der Inbegriff des Abscheulichen ist, den die Prinzessin so mir nichts, dir nichts an die Wand klatscht. Robert Seuntjens weiß, dass die Bindung zu einem Hund enger ist als die zu einem Frosch. Er spürt aber auch, dass da etwas ist zwischen ihm und den Amphibien. Das war schon als Kind in seiner niederländischen Heimat so, als er beobachtete, wie die Tiere über Wiesen und in Tümpel hüpften, als er Kaulquappen fing und fasziniert war von dem Wunder der Verwandlung. "Ich fand es immer interessant, wenn sich aus einem Wesen etwas ganz anderes entwickelt", sagt er. Und wie bedauerlich es sei, dass es heute verboten ist, Kaulquappen im Einmachglas mit nach Hause zu nehmen. Je mehr die Menschen mit ihnen in Berührung kommen, glaubt Seuntjens, desto größer ist ihr Respekt vor den Tieren, die weltweit stark bedroht sind. Rund 120 Arten sind nicht zuletzt durch klimatische Veränderungen, durch den Rückgang von Feuchtgebieten, aber auch durch Umweltgifte und Pilzbefall in den vergangenen Jahren verschwunden. "In Berlin gibt es in freier Natur keine Laubfrösche mehr", sagt Robert Seuntjens.
Tierpfleger ist er auch, wenn er Feierabend hat. Zu Hause hält er neben zwei Schlangen, die Max und Moritz heißen, exotische Molche. Seine nächste Urlaubsreise geht in die Berge, dorthin, wo er vor Jahren Alpensalamander gesehen hat. "Ich will schauen, ob noch welche da sind", sagt er. Und dann erzählt er, wie wichtig es ist, dass Amphibien schädliche Insekten vertilgen. Er erzählt aber auch, dass jedes einzelne Tier ein Lebewesen ist, das man manchmal sogar ein wenig lieb gewinnen kann. "Ich weiß nicht, ob ein Frosch mich erkennt", sagt er. "Ich weiß es nicht." Er kann sie nicht immer alle auseinander halten. Und auch, wenn sie ein Gehör haben, gibt er ihnen keine Namen. "Aber wenn ein Tier zehn oder sogar 15 Jahre hier lebt", sagt er, "ja, dann entsteht da schon eine Bindung." Sie hat viel mit Respekt zu tun. Und manchmal auch damit, dass es so aussieht, als würde der Korallenfinger-Laubfrosch einen anlächeln.
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Marga