Tierschützer in Ungarn
Der mit den Wölfen tanzt
04. Juli 2016 19:07 Uhr / von Lilith Grull
Zitat
István Szilágyi hat seinen Lehrerjob an den Nagel gehängt, um sich im Wildpark Medveotthon Veresegyház für den Tierschutz starkzumachen. Die Einrichtung ist nicht nur einer der größten Wolfs- und Bärenparks weltweit, sondern auch ein Auffangzentrum für Tiere, die aus artfremder Haltung gerettet wurden. István Szilágyi und seine Kollegen helfen den Wildtieren hier, sich wieder in ein natürlicheres und würdevolles Umfeld einzuleben.
“Es gibt zwei Varianten bei nicht artgerechter Haltung: Zum einen gibt es Leute, die Haustiere haben, aber keine Zeit, sich angemessen um sie zu kümmern, weil sie acht Stunden am Tag arbeiten und sich nicht ausreichend über ihr Tier informieren. Zum anderen gibt es Leute, die Haustiere haben, die keine Haustiere sind. Dazu gehören Bären, Wölfe, Waschbären und andere wilde Tiere”, sagt der Ökologe und studierte Pädagoge, István Szilágyi. Als beamteter Lehrer an Schulen arbeitet er schon seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr. Vor gut 25 Jahren ist er als Tierschützer dem „Weißen Kreuz“ (ungarisch „Fehérkereszt Állatvédő Liga” genannt) beigetreten und hat anschließend angefangen, im Wildpark Medveotthon Veresegyház zu arbeiten.
Aus artfremder Haltung gerettet
In dem Park leben auf einer insgesamt 30 Hektar großen Fläche 30 europäische Grauwölfe, 30 Braunbären, eine gute Handvoll Nasen- und Waschbären sowie ein paar Nordhirsche. Der Großteil der Tiere stammt aus Privathaushalten und Institutionen, in denen sie nicht artgerecht gehalten wurden; lediglich zehn Wölfe wurden mit der Hand innerhalb des Tierparks großgezogen.
Der Wildpark Medveotthon Veresegyház wurde 1998 durch Tierschützer des internationalen Bundes „World Animal Protection” (WSPA) gegründet und war nach der Wende eine der ersten Institutionen Ungarns, die sich Tieren aus artfremder Haltung widmeten. Mit dem Tierpark wollten sie das Ziel verfolgen, Tiere aus privaten Haushalten, in denen sie nicht artgerecht gehalten wurden, zu befreien und ihnen ein angemessenes Lebensumfeld in der Natur zu bieten. Der Park wird wie jeder andere Wildpark von Zuschauern besucht und durch Mittel der Kommune Veresegyház gefördert.
Es braucht eine bessere Aufklärung
“Im Jahr haben wir bisher nur 200.000 Besucher, ich hoffe, dass sich das ändert”, meint István Szilágyi. “Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, nicht nur den Tieren ein besseres Leben zu bereiten, sondern auch aufzuklären. Ich und meine Frau arbeiten auf dem Gelände als Wildparkpädagogen und erzählen über die Tiere und ihre Haltung im Allgemeinen.” Szilágyi hebt hervor, dass es eine schöne aber harte Arbeit im Tierpark ist. Man müsse kein Fachmann, doch mit Waldarbeit vertraut sein und vor allem Respekt, aber keine Angst vor den Wölfen und Bären haben, da man sich frei auf dem Gelände der Tiere bewegt und dort arbeitet.
“Wenn wir uns gemeldete Tiere aus schlechten Umständen befreien, versuchen wir, sie Schritt für Schritt in angrenzenden Gehegen an die schon hier lebende Gruppe zu gewöhnen”, erklärt István Szilágyi. Zwanzig der geretteten Wölfe leben inzwischen auf einem gut anderthalb Hektar großen Gelände in einem wilden Rudel, zehn wurden im Tierpark mit der Hand großgezogen und leben separat. “Alle unsere Bären und die Wölfe aus Handaufzucht sind kastriert”, erzählt Szilágyi, “trotzdem hatten wir einmal drei Bärenbabys. Die Mutter kam von einem Bauern aus der Umgebung. Er hielt sie siebzehn Jahre lang in einem Raum auf nur neun Quadratmetern.”
Die zehn Wölfe aus Handaufzucht helfen Szilágyi und seiner Frau bei der Aufklärung der ungarischen Bevölkerung. Den Besuchern des Wildparks Medveotthon Veresegyház erzählt das Paar alles Wissenswerte über die Tiere, auch wie man sich in der Wildnis Bären und Wölfen gegenüber verhalten sollte. “Hier helfen die „sozusagen“ zahmen Wölfe bei der Veranschaulichung. Doch man muss aufpassen, es sind immer noch Wildtiere”, warnt István Szilágyi. In und um Ungarn gibt es Bären und Wölfe in freier Wildbahn. Der Wildhüter berichtet, dass es immer wieder zu Unfällen zwischen Tier und Mensch kommt, unter anderem, weil Waldbesucher etwa zu bekannten Futterstellen gehen und die Tiere bewusst mit Nahrung anlocken, um die Wolfs- und Bärenbabys zu streicheln. “Manchmal enden solche unnötigen Aktionen im Krankenhaus”, so Szilágyi. “Bären und Wölfe essen zwar keine Menschen – ich hoffe, dieses Klischee ist heute überholt – es sind dennoch wilde Tiere.”
Nicht nur mit Besuchern des Wildparks reden die Szilágyis. Gemeinsam besuchen sie Schulen, Firmen, Institutionen, andere Wildparks, Zoos und Zirkusse und versuchen den Angestellten und Chefs zu vermitteln, wie die Tiere artgerecht gehalten werden sollten. Wenn die Aufklärung zu spät kommt oder sich nichts ändert, übt Szilágyi mithilfe seiner Tierschutzorganisation, dem Weißen Kreuz, über zum Beispiel schlechte Presse in sozialen Medien, Druck auf die jeweiligen Institutionen aus. “Eines der vielen Probleme sind fehlende Fachkräfte in den Institutionen”, so Szilágyi. “Ein anderes ist: Ohne Aufklärung kann man nicht erwarten, dass sich etwas ändert. Ein Großteil der Fälle geht zwar auf bewussten Böswillen der Leute zurück, doch ein kleiner Teil weiß es einfach nicht besser oder meldet einen schweren Fall nicht, weil er ihn nicht erkennt.”
EU-Richtlinien zur Tierhaltung auch in Ungarn
“Manch einer wundert sich vielleicht über die Gehege, in denen wir die Tiere halten”, schildert der Tierfreund, “doch darf man nicht vergessen, dass all unsere Tiere mehrere Jahre unter schlechten Bedingungen mit Menschen gelebt haben und oftmals dort geboren wurden. Sie wissen nicht, wie sie in der freien Natur überleben können. Wir bieten ihnen auf einer mehrere Hektar großen Fläche naturgetreue und artgerecht kontrollierte Lebensumstände.”
Vom Staat gibt es Richtlinien, denen die Tierhaltung in Institutionen entsprechen sollte. Jedes erwachsene Tier sollte eine Art Personalausweis haben und ein Fachmann sollte regelmäßig vorbeikommen und überprüfen, ob alle Bedingungen der artgerechten Tierhaltung erfüllt sind. Seitdem Ungarn der EU beigetreten ist, haben, so Szilágyi, viele Institutionen, wie Zoos und Zirkusse, Auflagen erhalten, ihre Tierhaltung den internationalen Maßstäben anzupassen. “Hierbei ist es jedoch so, dass die Richtlinien je nach den Traditionen von Land zu Land abweichen”, berichtet István Szilágyi. So sei zum Beispiel in Spanien der Stierkampf erlaubt, in Ungarn aber nicht.
“Wiederum ist in Ungarn, zumindest in einem gewissen Rahmen, Rodeoreiten erlaubt”, erzählt er. Es gibt sogar zwei Organisationen, die Rodeoreiten auf Ochsen organisieren. Auch das ist ein Thema, das Szilágyi beschäftigt: Im Rahmen des Weißen Kreuzes versucht er, ein möglichst tiergerechtes Reiten zu ermöglichen. Die teilnehmenden Tiere und Menschen müssen ein bestimmtes Gewicht haben und es darf nicht länger als zwölf Sekunden geritten werden. “Das macht das Ganze für mich immer noch nicht okay, aber das Rodeo scheint unumgänglich und so ist es besser als in den USA, wo man zum Beispiel mit Elektroschocks arbeitet.”
Zoo als genetische Datenbank
“Menschen möchten in Zoos, um Tiere anzuschauen, die dem eigenen Land fremd sind”, sagt István Szilágyi. Seine Sicht auf Zoos und Zirkusse hat sich vor ein paar Jahren etwas widerwillig geändert. Noch immer findet der Wildparkarbeiter und Tierschützer Zoos nicht okay, aber heute kann er ihnen auch eine gute Seite abgewinnen - nicht hinsichtlich der Umstände der Tierhaltung, aber der Artenvielfalt. “Manche Tiere können heute kaum noch in der freien Wildbahn überleben. Das hat unterschiedliche Gründe, nicht zuletzt auch deshalb, weil man in Ungarn für ein paar Millionen Forint eine Safari in Afrika buchen kann”, erbost sich Szilágyi. “Es kommt nicht selten vor, dass in Zoos mehr Berggorilla auf einem Fleck wohnen als in ihrem natürlichen Umfeld. Manche Tierarten können so geschützt und weiterhin erhalten bleiben - hier funktioniert ein Zoo wie eine genetische Datenbank.”
“Auch Zirkusse sind für mich schwierig, doch möchte die breite Masse nicht nur von Artisten unterhalten werden, sondern auch von Tieren”, sagt Szilágyi. Vor gut zwei Jahren gab es einen Skandal in einem der größten Zirkusse Ungarns. Eine junge Giraffe wurde in ihrem Heimatzoo von anderen Giraffen gemobbt und von einem Zirkus aufgekauft. Man baute ein großes mobiles Gehege, welches sich die Giraffe mit einem Shetlandpony teilte. “Zunächst erscheint das schrecklich. Doch so unlieb es mir ist, muss ich als Tierschützer sagen, dass das Wichtige eingehalten wurde: Nahrung, Trinken, Platz, Medikamente und ein artgerechter Auftritt. Die Giraffe läuft lediglich im Zirkus im Kreis und muss keine Kunststücke aufführe. Ob so etwas nötig ist, ist eine andere Frage”, so Szilágyi.
Noch mehr Freifläche für die Tiere
In seinem Tierpark wünscht sich István Szilágyi nicht nur noch mehr aufgeklärte Besucher, sondern auch noch mehr für die Tiere umgewandelte Lebensfläche. Derzeit sind erst dreieinhalb der 30-Hektarfläche genutzt. Der neuste Zuwachs in der Wildparkfamilie sind acht Alligatorschildkröten. Diese hat jemand an einem Kindergartenteich ausgesetzt. Szilágyi hat sie dort mit seinem Team abgeholt und wird nun auch für sie ein Gelände konzipieren. Noch haben sie genügend Fläche und ausreichend Kapazitäten, um hier weiterzuhelfen. István Szilágyi hofft, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Quelle vom Bericht mit Bildern:
http://www.budapester.hu/2016/07/04/der-mit-den-wolfen-tanzt
Link zur Homepage:
http://www.medveotthon.hu/