Fledermäuse wichtiger als Glühwein 19.10.2016 / von Rüdiger Soldt
ZitatRuhe bitte: Der Heidelberger Weihnachtsmarkt findet dieses Jahr nicht vor der Schlossruine statt. Dort leben Fledermäuse. Werden sie von Menschen gestört, sterben sie häufig.
Der Artenschutz kann den Bau neuer Autobahnen oder Bahnstrecken verzögern. Die schützenswerte Mopsfledermaus war sogar einmal dafür verantwortlich, dass für die historische Sauschwänzlebahn im Südschwarzwald ein Winterfahrverbot verhängt wurde.
Das stellte sich zwar im Nachhinein als rechtswidrig heraus – die Aufregung war dennoch groß. Vielleicht so groß wie in diesen Tagen in Heidelberg, wo die streng geschützte Zwergfledermaus sowie das „Große Mausohr“ dafür verantwortlich sind, dass die Heidelberger und viele Touristen im Stückgarten vor der Schlossruine in diesem Jahr weder Glühwein trinken noch handgeschnitzte Buchstützen kaufen können.
Umzug auf den Friedrich-Ebert-Platz
Die Aussichtsfläche vor der Schlossruine bietet in der Adventszeit einen wunderschönen Blick auf die verschneite Altstadt und das Neckartal. „Das adventliche Erlebnisangebot auf dem Schloss wird jetzt deutlich umgestaltet, damit der Schutz der bedrohten Fledermäuse zuverlässig gewährleistet werden kann“, teilte die staatliche Schlösserverwaltung in Baden-Württemberg etwas hölzern mit. Es sei keine leichte Entscheidung gewesen, aber mittelfristig sei der Bestand der Heidelberger Schlossfledermäuse gefährdet gewesen.
Der kleine, edlere Teil des Heidelberger Weihnachtsmarktes mit vielen Kunstgewerbeständen und anspruchsvollerer Kulinarik soll deshalb möglichst komplett auf den Friedrich-Ebert-Platz umziehen. „Der Weihnachtsmarkt auf dem Schloss war mal ein Geheimtipp. In den vergangenen Jahren ist der Platz aber geradezu überrannt worden. Dass der Heidelberger Weihnachtsmarkt wegen der Fledermäuse insgesamt abgesagt wird, ist natürlich Quatsch“, sagt der Sprecher der Stadt Heidelberg. Den Weihnachtsmarkt auf dem Platz am Königstuhl gibt es erst seit 2010; im vergangenen Jahr hatte nur dieser Teil des Adventsmarktes in drei Wochen etwa 60 000 Besucher.
Nach Angaben der Schlösserverwaltung ist die Ruine der pfälzischen Kurfürsten heute das größte Fledermaus-Winterquartier in Nordbaden. Die Tiere nutzen die Palastbauten, die Türme und die Kasematten gern für ihren Winterschlaf – werden sie von Menschen gestört, sterben sie häufig. Die Population soll sich durch die adventliche Ruhestörung in den vergangenen Jahren sogar halbiert haben. Die Schlösserverwaltung will auf ein „stimmungsvolles Angebot in der Adventszeit in der romantischen Schlossruine“ dennoch nicht verzichten: In der Vorweihnachtszeit soll im Innenhof nun ein Wettbewerb kurpfälzischer Chöre stattfinden.