So gefährdet sind Berlins Pflanzen und Tiere Von Patrick Goldstein / 28.06.2017, 07:00 Uhr
ZitatBedroht, gesichert, ausgestorben: Der Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege übergibt dem Senat die „Roten Listen“.
Berlin ist berühmt als Großstadt der Grün- und Wasserflächen. Dennoch ergab die Langzeitstudie von 50 ehrenamtlichen Experten, dass mehr als ein Drittel der im Stadtgebiet einmal angesiedelten Arten gefährdet oder ausgestorben sind. Die Ergebnisse wurden am Dienstag bei der Übergabe der sogenannten Roten Listen an die Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz vorgestellt.
Die ehrenamtlichen Naturkenner legten Daten zu 22 Pflanzen- und Tiergruppen vor. Darunter Amphibien, Reptilien und Moose. Von den 4756 bearbeiteten Arten identifizierten die Experten 1796 als gefährdet oder ausgestorben. Rebhühner etwa findet man in Berlin nicht mehr. Vom Aussterben bedroht sind Saatkrähe, Uferschwalbe und Flussregenpfeifer. Die Hälfte der Brutvögel gilt als gefährdet. Unter den Amphibien sind 75 Prozent betroffen. Auslöser sind etwa bauliche Verdichtung, Gebäudesanierung, Luftverschmutzung und Grundwasserabsenkung.
Rund 62 Prozent der Arten fallen in die Kategorie "ungefährdet". Aufgrund einer verbesserten Luftqualität hat sich beispielsweise die Situation der Flechten verbessert. Ebenfalls zunehmend in Berlin gesichert sind Kranich, Grauammer und Trauerseeschwalbe. Weil das Wasser in Berlin sauberer geworden ist, stießen die Naturfreunde zudem vermehrt auf Armleuchteralgen.
Was fehlt, ist der Nachwuchs von Hobbyforschern
Naturschützer gehen von rund 20.000 Arten in Berlin aus. "Das ist auf etwa 175 Berliner je eine Art", sagte Ingo Kowarik, Landesbeauftragter für Naturschutz und Landschaftspflege. In zwei Aktenordnern übergab er die 22 Listen an den Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz, Stefan Tidow. Bis Jahresende werden weitere elf Listen hinzukommen.
Die vorerst letzte Sammlung war 2005 fertiggestellt worden. Die Frage, welche Entwicklung die Situation von Flora und Fauna seitdem genommen hat, lässt sich laut Kowarik nicht belastbar klären. Denn seit der zwölf Jahre alten Studie haben sich Methodik und Kategorisierung gefährdeter und ungefährdeter Arten verändert.
Er unterstrich die Bedeutung biologischer Vielfalt für die Bürger. "Je mehr wir uns dafür einsetzen, desto wohler fühlen sich Menschen in einer Stadt", sagte Kowarik. Staatssekretär Tidow erklärte, die Roten Listen würden etwa bei der städtebaulichen Planung neuer Projekte herangezogen.
"Es ist ein aussterbendes Hobby, sich mit Flora und Fauna zu beschäftigen"
Ein Beispiel: Der ehemalige Rangierbahnhof Schöneweide wird in ein Gewerbe- und Produktionsgebiet umgewandelt. Neben zahlreichen Arten stellte man dort auch einen Bestand von Zauneidechsen fest. Daher wurde für sie die Umsiedlung beschlossen.
Besorgniserregend sei laut Kowarik die Aussicht auf die in zehn Jahren vorzulegenden Roten Listen. Denn es fehle der Nachwuchs von Experten, die in der Natur mit Fachkenntnis nach dem Verbleib von Pflanzen und Tieren forschen. Karl-Hinrich Kielhorn, freiberuflicher Gutachter und einer der beiden Redakteure der Roten Listen, sagte: "Es ist ein aussterbendes Hobby, sich mit Flora und Fauna zu beschäftigen. Bis in die 70er-Jahre war es verbreitet. Heute hat es ein verstaubtes Image."
Doch auch ohne umfassende Kenntnisse ist es für Garten- und Balkonbesitzer einfach, etwas für die biologische Vielfalt der Stadt zu tun. Ob mit einem "Insektenhotel" oder Nistkästen für Vögel, die an Gebäuden brüten.