Als am Morgen des 17. März in das Flugzeug eingestiegen bin, habe ich nicht daran geglaubt, dass wir am frühen Nachmittag tatsächlich vor der Eisbärenanlage von Wilbär und Ewa stehen würden. Alles war so reibungslos abgelaufen, dass ich das Gefühl hatte, das alles könnte nicht Wirklichkeit sein. Kaum waren wir aus dem Flugzeug ausgestiegen und mit dem Bus zum Autoverleiher gebracht worden – das ist in Arlanda alles hervorragend organisiert und funktioniert völlig problemlos – saßen wir auch schon in unserem kleinen weißen Auto und rollten bei Bilderbuch-Winterwetter auf ziemlich leeren Straßen auf Orsa zu. Zielstrebig steuerten wir den Björnpark in Grönklitt an und kamen dort gerade noch rechtzeitig an, um die junge Frau an der Kasse zu verwirren, in dem wir noch eine Saisonkarte, die am 17. Mai endet, zu kaufen. Ich denke, sie konnte es nicht ganz glauben, dass wir wirklich die nächsten fünf Tage in den Bärenpark kommen wollten.
Dann ging es durch den tief verschneiten Park hin zur Polar World. Wir hatten damit gerechnet, dass man fünf Tage brauchen würde, um wirklich schöne Bilder von den Bären zu machen. Schließlich waren wir schon öfter einmal in einem Zoo gewesen und hatten nur schlafende Eisbären beobachten können und in Grönklitt besteht ja durchaus auch noch das Risiko, dass man die Bären irgendwo in weiter Ferne sieht oder sie sich entschlossen haben, in einer nicht einsehbaren Kuhle hinter einem Berg zu schlafen. Aber eigentlich hätten wir nach der ersten Stunde vor dem Gehege schon wieder nach Hause fahren können. (Doch dann hätten wir natürlich eine ganze Menge von den Abenteuern der beiden Eisbären verpasst.)
Wilbär und Ewa warteten quasi im ersten Gehege, dem kleineren der beiden, auf uns. Wilbär kugelte sich vergnüglich im Schnee, Ewa buddelte ein Loch. Das scheint eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen zu sein. Die Tierpflegerin Anette, mit der wir freitags gesprochen haben, erklärte uns, sie würde vermutlich das Wasser unter dem Eis hören und wäre neugierig, was denn da unter dem Eis ist. Ab und zu schaute Wilbär, was seine Partnerin denn da machte. Doch Ewa gab ihm deutlich zu verstehen, dass das ihr Loch war und er sich eine andere Beschäftigung suchen sollte.
Wilbär ist mächtig gewachsen, seit ich ihn vor 9 Monaten das letzte Mal gesehen habe. Er ist gerade dabei Ewa in der Höhe zu überholen. Und die war schon vor einem Jahr so groß wie eine erwachsene Eisbärin. Kräftiger als sie war er ja schon immer. Er wird bestimmt einmal ein richtig großer beeindruckender Eisbärmann wie sein Vater Anton. Dem ähnelt er schon jetzt mit seinem breiten Eisbärenkopf.
Leider haben auch die beiden Eisbären in Schweden wie viele andere Eisbären in diesem Jahr in diversen europäischen Zoos ein Problem mit dem Fell. Sie hatten Haarausfall, der vermutlich durch einen Befall mit Parasiten verursacht wurde, und mussten Medikamente bekommen. Jetzt ist das Fell wieder gewachsen, aber die beiden sehen ein bisschen seltsam aus. So als ob man sie auf dem Rücken geschoren hätte.
Die größte Veränderung seit dem Juni 2009 ist die Selbstverständlichkeit, mit dem sich die beiden Tiere in ihrer Anlage bewegen. Ich kann es schlecht beschreiben, sie verhalten sich vollständig anders, als die anderen Eisbären, die ich in Zoos beobachtet habe. Sie sind da, wo sie leben zuhause. Sie entscheiden, was sie machen, wo sie hingehen, wo sie schlafen. Sie ignorieren die Zoobesucher nicht, aber sie beachten sie nur, wenn sie Lust dazu haben. Es gibt in ihren Reich soviel zu entdecken, zu untersuchen, es gibt soviel natürliches Spielzeug, so viele Gerüche und Geräusche. Die beiden haben einen ausgefüllten Tag. Die Bären können den ganzen Tag durch die gesamte Anlage streifen – nur manchmal wird ein Teil abgesperrt, wenn dort z. B. Futter verteilt werden soll. Die Bären entscheiden, ob und wann sie in ihre Innengehege oder Ställe gehen.
Und Ewa und Wilbär haben zueinander gefunden. Sie folgen einander, schauen immer wieder nach, was der andere gerade macht. Und wenn sie Lust haben, dann spielen sie miteinander, laufen hintereinander her und kämpfen miteinander.
Jeder der Wilbär in Stuttgart erlebt hat, erinnert sich sicher noch daran, wie er die Zuschauer immer wieder an der Scheibe erschreckt hat. In Orsa hat er eine neue Variante dieses Spiels entwickelt. Er läuft mit Karacho auf den Zaun zu, hinter dem ein Zoobesucher steht und wirft sich in den Schnee und pustet den Zoobesucher an. Genauso wurden wir von der „Weißen Wampe“ begrüßt. So nah habe ich nirgendwo anders einen Eisbären ohne Scheibe dazwischen, die die Geräusche dämpft, gesehen. Und auf einmal störte mich auch der Abstand zwischen dem niedrigen Zaun, der die Zoobesucher von dem eigentlichen Gehegezaun trennt und ziemliche Probleme beim Fotografieren macht, nicht mehr. Ein bisschen Sicherheitsabstand zwischen mir und einem Eisbären ist dann doch ganz beruhigend.
Trotzdem hatten wir viel Spaß an dem Spiel. Wilbär ist da ziemlich demokratisch. Er „kümmert“ sich um alle Zoobesucher. Aber irgendwie erschien es uns an den 5 Tagen in Orsa, als ob wir besonders freundlich und häufig bedacht wurden. (Man darf ja ein bisschen unrealistisch sein.)
Nach einiger Zeit wanderten die beiden Bären dann hinüber zu dem größeren Gehege mit dem großen See - beide Seen sind fast vollständig zugefroren, es gibt nur zwei Löcher an der Stelle, wo eine Umwälzpumpe für einen Wasserwirbel sorgt. Hier schnappte sich Wilbär eine blaue Tonne und spielte damit.
Das interessierte dann auch Ewa, die zuerst eine Inspektionsrunde bei ihren alten Löchern unternommen hatte – sie musste in jedes wenigstens einmal den Kopf hineinstecken – beide kamen mit Tonne zur Scheibe hinüber und dann dachte wohl Wilbär, er müsse unser Herz brechen. Er kam ganz nah an die Scheibe und leckte sie genau da ab, wo wir standen, und schaute uns ganz, ganz tief in die Augen.
Es war leider Zeit zurück zum Auto zu gehen, denn im Winter schließt der Björnpark schon um 15:00. Aber wir hatten ja noch vier Tage vor uns, an denen wir die Bären besuchen konnten. Wir kauften in Orsa, das ungefähr 16 km von Grönklitt entfernt liegt, im Supermarkt unser Abendessen ein, bezogen unsere Ferienwohnung und freuten uns am Kaminfeuer über den gelungen Start in unser Winterabenteuer in Orsa.
Mehr Bilder (ein bisschen viele, sorry ich kann so schlecht auswählen.) gibt es hier:
http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/...682980248/show/