Kleiner Bruder zum Anbeißen
Geschwister können das bestätigen: Es ist nicht schön, wenn der Bruder gleich alt, aber größer ist und ständig ausprobiert, wie man so schmeckt. Unterlegen - so könnte sich Miron fühlen. Er ist der Kleinere der beiden Löwenzwillinge, die am 26. August 2010 im Zoo zur Welt gekommen sind.
Was auch immer Miron denkt, niedergeschlagen wirkt er nicht. Den Attacken seines Bruders Nathan hält er tapfer stand, seine Neugier auf die Welt ist ungebrochen. Im Käfig liegen grün genoppte Gummibälle, ein Handtuch, ein dickes Seil, eine Baumscheibe, ein Ast und viel Stroh. Alles Zeugs, das Löwenbabys durch die Welt jagen wollen - inklusive Blechnapf. Inzwischen sind sie mehrere Stunden am Tag für Besucher zu sehen, nach einem Leben hinter den Kulissen. Denn die vierjährige Mutter Aketi war zwar nett zu ihren Söhnen, nur säugen wollte sie nicht. Die Tierpfleger Mario Grüßer und Nicole Marszalek sprangen ein und sind entsprechend zerkratzt. "Die Löwenkinder müssen erst noch lernen, dass sie ihre Krallen nicht nur aus-, sondern auch einfahren können", sagt Zoo-Kurator Heiner Klös. Beim Stichwort Krallen wissen Kenner: Löwen sind Katzen. Besondere Katzen: Sie leben nicht solitär wie der Rest der Felidae - also als Einzelgänger, wie sie Akif Pirinci im Bestseller-Krimi "Felidae" beschreibt. Nein, Löwen schließen sich in Rudeln zusammen. Die Weibchen kümmern sich gemeinsam um die Aufzucht der Jungtiere inklusive Jagd. Für das Brüllen und Imponieren, also den Schutz, sind die Männer zuständig. Ihre Löwenmähne ist Teil des Programms: Sie dient als Schutz vor Prankenhieben und Bissen von Rivalen; außerdem sind lange, dunkle Mähnen ein Zeichen guter Verfassung, denn Hormonstatus und Ernährung haben Einfluss auf die Dichte und Länge der Haare. Der Kurator ist froh über den Zuwachs, auch wenn die Umstände alles andere als rosig sind. Die Eltern Aketi und Aru sind Geschwister aus dem Zoo Wuppertal. Klös hat die beiden zusammengelassen, damit Aketi Muttergefühle erleben kann. "Die Lage ist schwierig, weil nur noch rund 200 afrikanische Löwen in europäischen Zoos leben, aber die Fachleute sich nicht auf ein Erhaltungszuchtprogramm einigen können." Auch bei kleineren Populationen von Löwenunterarten wäre die Gefahr von Inzucht vorhanden. Zu geringer genetischer Austausch birgt Inzucht und die Gefahr von Krankheiten in sich. Letztere machen Löwen in freier Wildbahn zu schaffen. Da die einheimische Bevölkerung sich räumlich ausdehnt, ziehen auch deren Haustiere weitere Kreise. So steckten sich Löwen mit dem Felinen Immundefizienz-Virus, einer Art Katzen-HIV an, erklärt Klös. Außerdem werden die Raubkatzen immer noch gejagt. Da kommt man auch mit Geschwisterliebe nicht weiter.
Quelle: Berliner Morgenpost vom 05.12.2010