Mein Freund, das Tier
Zoo Dauerkartenbesitzer und ihre Lieblinge
Von Veronika Thomas 20.10.2011
Sie sehen sich jeden Tag. Manchmal sogar zweimal am Tag für mehrere Stunden: Zwischen rund zwanzig Dauerkartenbesitzern des Zoos und ihren Lieblingen hat sich ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt.
Foto: Orang-Utan-Mann Jambi begrüßt Irmhild Knöss wie eine gute Freundin.
© Martin Steiner
Hannover. Sie kommen bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Manche zweimal am Tag, andere zwei- oder dreimal pro Woche für mehrere Stunden, um „ihre“ Lieblingstiere im Zoo zu besuchen. Der zoologische Leiter des hannoverschen Zoos, Heiner Engel, schätzt den harten Kern der ständigen Besucher auf wenigstens 20 von insgesamt rund 129.000 Dauerkartenbesitzern. Eine von ihnen ist Irmhild Knöß. Seit zehn Jahren besucht sie die Orang-Utans täglich im Urwaldhaus.
Die pensionierte Lehrerin kennt die Biografien und Vorlieben der Tiere, weiß etwa, dass die 21-jährige Zora drei Jahre lang mit dem heute 15-jährigen, in Frankreich geborenen Jambi in einem Gehege zusammengelebt hat, um ihm die Eingewöhnung in Hannover zu erleichtern. „Den Tieren geht es gut hier. Die Pfleger tun alles, damit sie sich wohlfühlen“, ist Knöß überzeugt. Dabei waren es die bedrohten Orang-Utans in Indonesien, die die 70-Jährige vor zehn Jahren in den Zoo geführt haben. Damals hatte sie erfahren, dass der internationale Handel mit Tropenholz und das Abholzen der Regenwälder auf Sumatra und Borneo, wo gigantische Palmölplantagen angelegt werden sollten, den Lebensraum der hochintelligenten Menschenaffen raubt. Die erwachsenen Affen mit dem roten Fell werden von Wilderern getötet, die Jungen auf Schwarzmärkten als Haustiere verkauft, wo sie jahrelang in engen Käfigen leiden.
Seitdem ist Irmhild Knöß Mitglied der Tier- und Umweltschutzorganisation „Borneo Orangutan Survival Foundation“ (BOS), die Schutzgebiete für kranke und verwaiste Orang-Utans einrichtet und sie in geschützten Wäldern wieder auswildert. Weil ihr die Tiere in freier Wildbahn leidtaten, ging Irmhild Knöß damals in den Zoo. Sie setzte sich ins Urwaldhaus und beobachtete die Denker des Urwalds, wie die Orang-Utans auch genannt werden. „Eines Tages hat mich Zora angelächelt“, erzählt die Tierfreundin. Seitdem kommt sie täglich zweimal, um Zora und Jambi, Kajan und Miri zu sehen. „Es ist faszinierend, wie liebevoll sie miteinander umgehen“, schwärmt die ehemalige Musik- und Kunstlehrerin. Zu nahe tritt sie den Tieren nicht, sie bleibt zumeist in der Rolle der stillen Beobachterin. Nur wenn Zora, Miri und die anderen wild durchs Gehege toben, klatscht sie schon mal Beifall. „Sie merken, wenn sie im Mittelpunkt stehen, dann drehen sie richtig auf.“ Häufig kommen die Tiere auch an die Scheibe, um sie wie eine gute Freundin zu begrüßen.
Auch Helga Weissenfels kommt täglich in den Zoo, meistens ins Urwaldhaus. „Aus alter Verbundenheit“, wie sie sagt. Von 1949 bis 1952 hatte die heute 77-Jährige als Schülerin im Elefanten- und im Affenhaus gejobbt. „Ich wäre damals liebend gern Tierpflegerin geworden“, bedauert die Rentnerin, aber das sei erst 1973 für Frauen möglich gewesen. Heute ist der Zoo aber nicht nur Projektionsfläche für alte Sehnsüchte, sondern auch ein beliebter Treffpunkt: „Wir treffen uns hier jeden Tag“, sagt Irmhild Knöß, und mit „wir“ meint sie eine ganze Gruppe Gleichgesinnter.
Eine Ecke weiter hat es sich Michael Schwarzer in einem zusammenklappbaren Strandstuhl vor dem Gehege der Faultiere gemütlich gemacht. „Das beruhigt mich total“, sagt der Jurist, der jetzt im 13. Semester Philosophie und Altgriechisch studiert. Er blickt abwechselnd auf die Faultiere und in sein philosophisches Fachbuch. „Der Zoo ist mein zweites Wohnzimmer.“
Frank Lehmanns Liebe gilt den Elefanten. Seit vier Jahren kommt er regelmäßig zweimal pro Woche, dann aber gleich für fünf, sechs Stunden. Er geht auch schon mal durch den Zoo, aber nur, um sich die Beine zu vertreten. Meistens kehrt der 67-Jährige schnell wieder zurück zum Dschungelpalast und beobachtet das Treiben der 13 Dickhäuter. „Das ist unheimlich interessant und dazu noch gesund“, erzählt der ehemalige Geschäftsführer, der nach einer Bypassoperation kürzertreten musste. Sein Kardiologe bescheinigt ihm heute eine ausgezeichnete gesundheitliche Verfassung. Zu den regelmäßigen Beobachtern gehört auch Ingrid Franke, die den Elefanten jeden zweiten Tag einen Besuch abstattet. „Meine Herztiere“, sagt die 67-Jährige. „Für mich ist das so, als wenn ich meine Enkel aufwachsen sehe“, meint die Mutter eines erwachsenen Sohnes. „Mit Farina und Kalifa fing es an. Und jetzt noch die fünf Kleinen, das ist einfach schön.“
„Anfangs habe ich die Tiere noch mit Namen begrüßt“, erzählt Frank Lehmann, aber die Pfleger hätten ihm klargemacht, dass das die Elefanten massiv störe. „Wer ständig mit Namen angesprochen wird, ohne dass man etwas von ihm will, ist genervt und reagiert irgendwann gar nicht mehr darauf“, erläutert Tierarzt Engel. Aber das könnten die Besucher ja nicht wissen. „Sie meinen es ja gut.“
Engel weiß, dass der Zoo für manche Besucher eine Art „Ersatzfamilie“ darstellt. „Manchmal machen wir uns Sorgen, wenn wir ganz bestimmte Leute, die normalerweise täglich kommen, eine Weile nicht sehen. Als im Juni 2004 Irma, die damals letzte von drei Eisbären, gestorben war, wartete Engel auf die sogenannte Bärenmutti, um ihr den Tod der Bärin behutsam beizubringen.
Frank Lehmann hat unterdessen Besuch von Peter und Ursula Glashoff bekommen, die wie er Mitglied im Verein der Zoofreunde Hannovers sind. „Wir sind Allrounder“, erklärt der regelmäßige Tierparkbesucher Peter Glashoff und meint damit, dass ihm und seiner Frau alle Zootiere am Herzen liegen. „Ich finde es unheimlich schwierig, die Eisbären auseinanderzuhalten“, fährt seine Ehefrau fort, und ihr Mann schiebt gleich hinterher: „Das erkennt man höchstens an ihrem Verhalten. Nanuq mag keine Äpfel.“ Die regelmäßigen Zoobesucher fachsimpeln gern.
Am späten Nachmittag versammelt sich im Urwaldhaus häufig eine kleine Fangemeinde der Menschenaffen. Die Schimpansen haben genauso ihre Liebhaber wie Gorillas und Orang-Utans, die zotteligen Waldmenschen. Kurz bevor das Haus um 18 Uhr schließt, haben sich die Schimpansen schon ihre Schlafnester gebaut. Für die Betrachter ist es jedes Mal spannend zu sehen, wer mit wem zusammen kuschelt. Die Orang-Utans, in freier Wildbahn Einzelgänger, werden im Zoo jedoch paarweise gehalten, weil sie für Nachwuchs sorgen sollen. Abends aber klettert jedes Tier für sich allein in einen abgetrennten, kleinen Raum. „Was nachts hier los ist, wissen wir natürlich nicht“, meint Tierfreundin Knöß. „Aber morgens gähnen die Affen manchmal. Da muss dann was gewesen sein.“
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